weibliche wirklichkeit

„Weibliche Wirklichkeit – Frauen in der Männerwelt“

Einerseits erklären die vier Mythen die Reaktionen des WMS auf alles, was ihm fremd ist, somit für das WMS gefährlich sein könnte andererseits ihre Richtigkeit, weil es dieselben Reaktionen auf meinen ersten Artikel im Magazin von AFF gab. Und nicht zuletzt, warum ich diese Thematik überhaupt angesprochen habe.

Mit den Mythen möchte ich aber nur auf einige der Grundlagen von männlich dominierten Gesellschaften hinweisen, die auch heutzutage noch gelten. In dem Buch von 1985 fehlen mir die Mythen Liebe & Sex. Auch gefallen mir ihre Definitionen nicht alle, wie bspw. wir Frauen würden uns beim Sex nur in einer Liebesbeziehung am wohlsten fühlen.

Für die veränderungsbedürftigen westlichen männlich dominierten Gesellschaften, geht es darum, einen Dialog anzufangen, für den u.a. die längst überfällige Akzeptanz der weiblichen Wirklichkeit mit völliger Gleichberechtigung von Frauen unabdingbar ist, um dann gemeinsam ein neues gesellschaftliches Konstrukt zu entwickeln.


Rückseite:
Der weibliche Blick auf die gellschaftliche Wirklichkeit.
In unserer westlichen Industriegesellschaft werden Frauen in eine Kultur hineingeboren, in der das »System des Mannes« herrscht. Jahrhundertelang haben Frauen sich diesem Prinzip, das dem weiblichen Wesen eigentlich fremd ist, unterworfen und den männlichen Herrschaftsanspruch anerkannt.

Die amerikanische Psychotherapeutin Anne Wilson Schaef entlarvt die Mythen und Mechanismen der Männerwelt und kommt zu dem Schluß: Es gibt ein weibliches System, das der analytisch geprägten Sichtweise des Mannes die Ganzheit und auf Entwicklung bedachte Lebenswelt der Frau gegenüberstellt.

Die vier Mythen des WMS = White Male System
Das WMS basiert auf vier Mythen, die es tragen, erhalten und zumindest theoretisch rechtfertigen. Diese Mythen sind schon so lange im Umlauf, daß sie den meisten Menschen gar nicht mehr bewußt sind. Viele würden deshalb die Existenz dieser Mythen schlechthin leugnen. Sie zu bezweifeln oder hinterfragen ist eben Ketzerei: Es sind heilige Kühe.

Der erste Mythos lautet:
Es gibt nur das WMS. Die Überzeugung und Sichtweisen anderer Systeme – besonders die des Weiblichen Systems – gelten deshalb als krank, schlecht, verrückt, dumm, häßlich und unzulänglich.
Dieser Mythos ist in zweifacher Hinsicht zerstörerisch: Er verwehrt es den Frauen, ihre eigenen Fähigkeiten und Wahrnehmungen zu gebrauchen, und er verhindert, daß die Männer nach Alternativen suchen und von den Frauen lernen können.

Fast jede Frau hat schon mehr als einmal gehört: »Du hast keine Ahnung von der Realität.« Das soll heißen, daß nur die Weltschau des WMS richtig ist. Außerdem wird den Frauen immer wieder eingebleut, sie würden die Realität nicht verstehen. Das WMS ist nicht die Realität, und Frauen können sehr wohl eine ganz andere, eigene Realität haben. Keine der beiden Sichtweisen ist richtig – keine ist absolut. Jede hat ihre Berechtigung. Wenn jedoch die eine Sichtweise zur einzig wahren Realität erhoben wird und die andere als krank, schlecht, verrückt, dumm usw. verworfen wird, dann hat niemand mehr die Freiheit, nach anderen Realitätsentwürfen zu suchen.

Es gibt vielleicht irgendwo die eine absolute Wirklichkeit, aber bis jetzt wurde noch nicht der Beweis erbracht, daß das WMS sie für sich beanspruchen kann. Wenn wir alle die Möglichkeit hätten, andere Wirklichkeiten zu suchen und zu erforschen, würden sich die Menschen sicher besser verstehen. Der Mythos von der einen und alleinigen Wahrheit ist das größte Hindernis auf der Suche nach Wahrheit.

Da das WMS so tief und fest davon überzeugt ist, daß es die Wahrheit für sich gepachtet hat, fehlt ihm das, was ich gerne die Theologie der Unterschiede nenne. Wenn jemand so sicher ist, daß seine Sicht der Dinge allein richtig ist, dann muß er (oder sie) jede Meinungsverschiedenheit als Bedrohung empfinden. Dies führt zu einem geschlossenen System und einem starren Lebensmuster, wo alle Abweichungen verworfen, verurteilt oder zerstört werden müssen. Niemand darf den Unterschieden nachgehen oder sie als Chance für neues Wachstum nutzen. Denn ihr bloßes Dasein gefährdet den wichtigsten Mythos des WMS. Er lautet: Das WMS ist der richtige und einzige Weg zum wahren Leben, einen anderen gibt es nicht.

Der zweite Mythos lautet: Das WMS ist absolut überlegen.
Hierbei ist anzumerken, daß der erste und zweite Mythos sich widersprechen. Wenn es nur das WMS gibt, wie oder wem ist es dann überlegen? Aber um diese Unlogik schert sich das WMS leider nicht.

In gewisser Weise hat das WMS also zugegeben, daß noch andere Wirklichkeiten existieren. Es bezeichnet sich als allem anderen überlegen und erhebt gleichzeitig den Anspruch, die einzige Wirklichkeit zu sein. Jeder, der diesem System nicht angehört, ist von vornherein minderwertig und untergeordnet -und das sind die Angehörigen aller anderen Rassen, die Frauen und die wenigen weißen Männer, die nicht in das WMS passen.
Angeborene Überlegenheit bzw. angeborene Unterlegenheit sind laut WMS Privilegien, die weder erworben noch veräußert werden können. Manche Männer würden gerne auf ihre Überlegenheit verzichten – sie ist oft eine zu schwere Last. Es ist einfach verflixt schwer, immer der Beste sein zu müssen. Auch der Gesundheit ist es nicht gerade zuträglich. Überlegen-sein-Müssen kann tödlich sein.

Der dritte Mythos lautet: Das WMS ist allwissend.
Hier liegt einer der Gründe, warum Frauen so oft Männer um Rat und Weisung fragen. Beide Geschlechter glauben fest daran, daß Männer alles wissen und alles wissen sollten. Während die zwei ersten Mythen sich diametral gegenüberstehen, kann dieser Mythos ohne weiteres von dem zweiten abgeleitet werden. Wenn einer absolut überlegen ist, dann ist er folglich auch allwissend.

Dieser Mythos hängt unmittelbar mit Rassen- und Geschlechtsstereotypen zusammen. Ein Stereotyp ist nichts anderes als eine Definition, die von einer Gruppe aufgestellt wird mit dem Ziel, eine andere zu beherrschen. All diese Stereotypen untermauern die Mythen des WMS.

Niemand wird die Tatsache leugnen, daß es in unserer Kultur nicht nur weiße Männer gibt. Schwarze, Amerikaner südamerikanischer und asiatischer Herkunft, Indianer und Frauen lassen sich nicht übersehen. Gerade weil sich ihre Systeme von dem der weißen Männer unterscheiden, muß das WMS diese irgendwie >unterbringen<. Folglich hat es Stereotypen entwickelt, die diese anderen Gruppen genauestens bestimmen und klassifizieren. So lange die Angehörigen der anderen Gruppen von diesen Stereotypen nicht abweichen, unterstützen sie die Illusion von der Allwissenheit des WMS. Wenn man(n) Frauen das schwache Geschlecht nennt und die Frauen sich schwach geben, kann niemand diesen Mythos anzweifeln.

Als erste lehnten sich die Schwarzen gegen die Stereotypen des WMS auf. Sie begannen nach ihrer eigenen Art zu leben. Die anderen rassischen Gruppen und die Frauen haben dies bis zu einem gewissen Grad ebenfalls versucht, allerdings unter großen persönlichen Opfern und Risiken.

Der vierte und letzte Mythos des WMS heißt:

Es ist möglich, absolut logisch, rational und objektiv zu sein.

Das Problem dabei ist nur, daß man alles andere unterdrücken muß, d. h. man muß ständig gegen seine unlogischen, irrationalen, subjektiven oder intuitiven Gedanken und Verhaltensweisen ankämpfen und sie verleugnen.
WMS-Personen verwenden eine Menge Zeit und Energie darauf, den Frauen zu erklären, sie (die Frauen) seien von Natur aus nicht logisch, nicht rational, nicht objektiv.
Und das tun sie oft reichlich emotional!

Ich beriet einmal ein Paar mit Eheproblemen. Beide, Mann und Frau, führten ein eigenes, florierendes Geschäft. Der Mann klagte ständig, wie emotional seine Frau bei Meinungsverschiedenheiten sei – er hingegen sei die Logik und Vernunft selber. Um seine Behauptung zu beweisen, setzte er ein Opus von vierundzwanzig Seiten auf, in dem er die Dinge aus seiner Sicht darlegte. Er überreichte mir das Werk zu Beginn einer Sitzung und bat mich, es zu lesen.

Bei seinem nächsten Besuch fragte er an, ob ich seinen Standpunkt begriffen hätte. Worauf ich antwortete, ich hätte das Ganze gelesen, es sorgfältig erwogen (sogar ge-wogen!) und sei zu dem Schluß gekommen, ein Opus von solchem Umfang und solcher Intensität müsse etwas höchst Emotionales sein!
Ein wesentlicher Teil der Psychologie befaßt sich mit dem Studium der individuellen Wahrnehmung: dem Phänomen, daß es bei der Beschreibung ein und desselben Vorgangs genau so viele Versionen wie Beobachter gibt. Der Mensch kann einfach nicht absolut logisch, rational und objektiv sein.

Der vierte Mythos – daß nämlich ein solches Verhalten möglich sei – ist eine gefährliche Falle für den Therapeuten (wie auch für den Klienten.) Wer diesen Mythos akzeptiert, der muß jede subjektive, intuitive Regung in sich unterdrücken. Die Therapie läuft dann in wohlabgemessenen, logischen Schritten ab, aber damit allein kann niemand vollkommen heil werden, denn viele wertvolle Daten und Informationen bleiben auf der Strecke.

Wer nach diesen Mythen lebt, führt ein sehr reduziertes Leben. Der Mythos, allwissend zu sein, kann nur aufrechterhalten werden, wenn man ganze Welten von Informationen außer acht läßt. Wer am Mythos seiner eigenen angeborenen Überlegenheit festhält, muß ständig die Augen verschließen vor den Vorzügen und Fähigkeiten der anderen.

Schon der Gedanke, diese Mythen könnten keine unumstößlichen Wahrheiten sein, läßt WMS-Personen schaudern. Diese Beobachtung habe ich immer wieder gemacht. Als ich einmal eine Vorlesung über dieses Thema vor einer Gruppe von Akademikern beiderlei Geschlechts hielt, bemerkte ich, daß ein Zuhörer immer unruhiger wurde. Als es ihn schließlich nicht mehr auf seinem Stuhl hielt und er am anderen Ende des Raumes erregt hin und her zu laufen begann, unterbrach ich meinen Vortrag und bat ihn, uns seine Gefühle mitzuteilen.

»Wenn das, was Sie sagen, stimmt«, meinte er, »dann bin ich nur ein Stück Dreck.« »Hab‘ ich das wirklich gesagt?« fragte ich. »Erklären Sie sich doch deutlicher!« Und er sagte wortwörtlich: »Wenn es stimmt, daß ich nicht überlegen bin und nicht alles wissen und verstehen kann, dann bin ich nur ein Stück Dreck, genau wie ihr anderen auch /«

Seine Aussage deckt mehrere wichtige Fakten auf. Zunächst war da sein überwältigendes Bedürfnis, sich an seine Überlegenheit und Allwissenheit zu klammern. Außerdem hatte er ungeheure Angst, wertlos (wie die anderen!) zu sein – falls es sich nämlich herausstellen sollte, daß er nicht überlegen war. Eine andere Alternative gab es für ihn nicht. Hier zeigt sich das dem WMS zugrunde liegende dualistische Denken. Die Dinge können nur so oder anders sein: Man ist entweder überlegen oder unterlegen. Es gibt die oben oder die unten. Was für ein schreckliches Dilemma! Wie einschränkend und anstrengend, immer oben sein zu müssen, um ja nicht unten zu sein!

Seine Aussage läßt außerdem erkennen, daß seiner Meinung nach die Welt nur so sein kann, wie er sie sieht. Wäre sie plötzlich anders, so wäre das das Chaos. Es ist leicht zu verstehen, warum Männer so panisch darauf reagieren. Um dieser entsetzlichen Möglichkeit zu entgehen, muß sich das WMS um jeden Preis verteidigen, und es kann sich dabei nicht leisten, Alternativen auch nur zu erwägen.