Natalie Angier – Frau: Eine intime Geographie des weiblichen Körpers

Weibliche Wirklichkeit – Frauen in der Männerwelt:

Natalie Angier lässt mit den Themen dieses Buches erkennen, dass die heutige Gesellschaft anders wäre, wenn Frauen früher nicht daran gehindert worden wären, die Kultur mitzugestalten, in der Forschung mitzuarbeiten.

Kurzbeschreibung
Ein kluges, ein provokantes Buch über den weiblichen Körper – seine Anatomie, sein Empfinden, seine Evolution und seine Lust – und über das Frausein heute, großartig recherchiert, frech und undogmatisch geschrieben, selbstbewusst, sinnlich und grenzenlos. Die Pulitzer-Preisträgerin Natalie Angier stellt eine schier unerschöpfliche Palette an Erkenntnissen zusammen und verwirft dabei reihenweise die festgefahrenen Vorstellungen über das, was frau ist oder sein sollte. Neben seiner Wissenfülle besticht dieses Buch vor allem durch die brilliante Eloquenz und den feinsinnigen Humor der Autorin. Selten wird Wissen so spannend und unterhaltsam vermittelt wie hier.Natalie Angier arbeitet als Wissenschaftsjournalistin für die New York Times. Für ihre publizistische Tätigkeit ist sie mehrfach ausgezeichnet worden, unter anderem mit dem Pulitzerpreis.

Auszug aus der Einleitung: Ins Freie, ins Licht.

Es kann ein Mädel wirklich bestürzen, ja wahnsinnig machen, Zeugin der jüngsten Auferstehung all jener stinkigen Klischees zu werden, die ich – und ihr, meine Schwestern, vermutlich nicht minder – schon längst gerädert, gevierteilt und eingeäschert gewähnt hatte.

Ich schreibe und lese schon seit Jahren über Biologie und Evolution, und es hängt mir ehrlich gesagt allmählich zum Hals raus, wie man uns das Etikett „Naturwissenschaft“ an den Weiberhintern klatscht und anschließend mit einem Gewäsch von scheinbar knallhartem Realismus festklebt.

Ich bin es müde, mir von Evolutionspsychologen, Neodarwinisten oder Geschlechtsbiologen erzählen zu lassen, sämtliche je über uns verbreiteten Enten seien doch die reine Wahrheit: Wir hätten im Vergleich zu den Männern tatsächlich einen eher lauen Geschlechtstrieb, einen ausgeprägteren Hang zur Monogamie, ein – außer in einem rein sexuellen Kontext – relativ geringes Interesse an Leistung und Anerkennung, eine ausgeprägtere Neigung zum Sein als zum Tun, ein ruhiges, selbstgenügsames Wesen, einen höheren Grad von „Freundlichkeit“, einen unmathematischen Kopf und so weiter und so weiter, und dies seit unseren verschwommen paläolithischen Anfängen.

Ich bin es müde, mir anhören zu müssen, es gebe stichhaltige evolutionäre Gründe für diese angeblichen urweiblichen Wesensmerkmale und es sei unsere verdammte Pflicht, ihnen offen, mutig und lächelnd ins Auge zu blicken. Desgleichen bin ich es müde, gesagt zu bekommen, ich dürfe nicht zulassen, dass meine feministischen Vorurteile mich daran hindern, »die Realität« zu sehen und »die Fakten« anzuerkennen.

Ich bin deswegen all dessen müde, weil ich den Animalismus liebe und die Biologie liebe und den Körper liebe, insbesondere den weiblichen Körper. Ich finde es herrlich, was der Körper dem Gehirn bringt, wenn es in einen deprimierten oder überspannten Zustand gerät. Aber viele der im Umlauf befindlichen Geschichten über das angeborene Ewigweibliche sind so dürftig, so unvollständig und ungenau, so auffällig bar jedes echten Beweises, dass sie einfach nicht wahr klingen – in meinen Ohren nicht und, wie ich vermute, auch nicht in den Ohren vieler anderer Frauen, die sich größtenteils ohnehin nicht

Gleichzeitig sind die Standardargumente gegen den Darwinismus und die biologische Betrachtungsweise des Frauseins auch keineswegs immer überzeugend, gründen sie sich doch oft genug auf einer Leugnung des Körpers oder zumindest des Einflusses, den dieser auf unser Verhalten hat. Es klingt dann so, als seien wir reiner Geist und reiner Wille, zu lebenslänglicher, immer neuer psychospiritueller Wiedergeburt fähig, in keiner Weise auf unseren Körper angewiesen, ja selbst darüber erhaben, uns gelegentlich etwas von ihm sagen zu lassen.

Leider finden sich unter den Kritikern des Darwinismus und des Biologismus nicht wenige Feministinnen und Progressive – aufgeklärte, ehrenwerte Bürgerinnen und Bürger, zu denen zu gehören ich mir normalerweise selbst schmeichle. Zugegeben, die Kritiker haben mit ihren Einwänden nicht Unrecht, insbesondere wenn sich diese gegen den Mythos vom passiven Frauchen richten oder etwa gegen Studien, die die angebliche kongenitale Leistungsschwäche des weiblichen Geschlechts in Sachen Mathematik nachweisen sollen.

Dennoch ist es etwas enttäuschend, wenn sie nichts anderes fertig bringen, als Nein zu sagen. Sie mäkeln an Details herum, nörgeln, Verwerfen. Hormone spielen keine Rolle, Gelüste spielen keine Rolle; Gerüche, Sinnesreize und Geschlechtsteile spielen keine Rolle. Alles ist erlernt, alles ist gesellschaftlich bedingt, alles ist die Folge kultureller Konditionierung. Hinzu kommt, dass diese Kritiker von der – oft unausgesprochenen – Voraussetzung ausgehen, der Mensch sei etwas Besonderes: vielleicht besser, vielleicht schlechter, aber auf alle Fälle von jedem anderen tierischen Erzeugnis der Evolution grundsätzlich verschieden.
Und da dem so ist – so ihr impliziter Gedankengang -, haben wir durch das Studium anderer Spezies nur wenig zu gewinnen, was unser Verständnis unserer selbst anbelangt, während namentlich wir Mädels sehr viel zu verlieren haben. Habe es uns letztlich jemals etwas eingebracht, mit einer Laborrättin verglichen zu werden?

In Wahrheit können wir jedoch aus dem Studium anderer Spezies sogar eine ganze Menge über uns selbst lernen. Wie sollten wir auch nicht? Wer andere Tiere beobachtet und in deren Verhaltensweisen nicht Einzelaspekte seiner selbst wieder erkennt, dem fehlt doch offensichtlich etwas zu einem vollständigen Menschen, oder? Ich zumindest möchte von anderen Tieren lernen.

Ich möchte von der Präriewühlmaus lernen, wie wichtig es ist, möglichst oft und lange mit Freunden und Geliebten zu kuscheln. Ich möchte von meinen Katzen, diesen Meistern des Nichtstuns, die hohe Kunst der Entspannung erlernen. Ich möchte von den Zwergschimpansinnen, unseren Bonobo-Schwestern, lernen, wie sich Meinungsverschiedenheiten auf friedliche und angenehme Weise, durch schlichtes aneinanderreibender Genitalien, aus der Welt schaffen lassen.

Ich möchte auch den Wert der Schwesterlichkeit wieder entdecken, des Zueinanderhakens und für einander Eintretens, das die Bonoboweibchen so konsequent praktizieren, dass sie nur selten von Männchen vergewaltigt oder auch nur belästigt werden – und dies, obwohl die Männchen größer und stärker als sie sind.

Wenn es den Frauen in den letzten Jahrzehnten gelungen ist, Probleme wie sexuelle Belästigung, Gewalt in der Ehe und Vergewaltigung in das Bewusstsein der Öffentlichkeit und des Gesetzgebers zu rücken, dann nur durch beharrliche, organisierte schwesterliche Aktivität – durch eine Strategie also, die Bonoboweibchen auf ihre eigene protokognitive Weise bereits vor Jahrmillionen vervollkommnet haben dürften.

ISBN 3-570-00381-7